Bezüglich einer Zusammenarbeit mit der Unión de Jóvenes Comunistas (UJC)

Bezüglich einer Zusammenarbeit mit der Unión de Jóvenes Comunistas (UJC) „Wir werden die Projekte wie in Venezuela und Bolivien weiter unterstützen und den Austausch mit Jugendorganisationen in diesen Staaten suchen. Unsere Solidarität gilt auch Kuba, welches sich seit Jahrzehnten imperialistischen Angriffen ausgesetzt sieht und bis jetzt seinen Weg des Sozialismus gegen alle Angriffe von außen verteidigt hat.“[1]

Diese Zeilen sind nun 11 Jahre alt, die Situation in Kuba ist die gleiche und doch eine andere. Auch 63 Jahre nach dem Sieg der Revolution in Kuba haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika noch immer nicht damit abgefunden, dass die Revolution nach wie vor in der kubanischen Bevölkerung einen enormen Rückhalt verspürt. Das Wirtschaftsembargo, international im Prinzip nur noch von den USA[2] unterstützt, wurde auch während der Corona-Pandemie nicht aufgehoben oder abgeschwächt. Trotz der daraus resultierenden Erschwernis für den kubanischen Staat wichtige Medikamente oder Beatmungsgeräte zu erwerben, hat Kuba als eines der wenigen Länder weltweit die Pandemie weitestgehend überstanden.[3] Doch nicht erst die Corona-Pandemie hat der kubanischen Wirtschaft ihre Mängel aufgezeigt. Obwohl es der kubanische Sozialismus schafft, seine Bevölkerung auf einem für lateinamerikanische Verhältnisse hohem Niveau zu ernähren und auf dem Level der „Ersten Welt“ zu bilden und medizinisch abzusichern, musste die Zeit der Doppelwährung beendet und der Wirtschaftssektor reformiert werden, um, den unmittelbaren Sachzwängen entsprechend, profitabel zu werden. Die kubanische Nationalversammlung hat hierzu verschiedene Reformen verabschiedet, die sich diesen Problemen nähern sollen und das Ziel haben, die Lebensverhältnisse der Kubaner:innen zu verbessern.[4] Gerade in dieser Phase, die unvermeidlich große Schwierigkeiten mit sich tragen wird, darüber sind die Verantwortlichen sich im Klaren, ist es notwendig, den Kontakt zu den Genoss:innen in Kuba zu suchen, aufzubauen und zu pflegen. Nur so ist es möglich zu verstehen, wie die Reformen ablaufen, wie sie aussehen und wie sie in der Bevölkerung ankommen. Auch abgesehen von den Reformen ist es notwendig, Kontakt zu Organisationen zu etablieren, die auf eine lange Erfahrung des sozialistischen Aufbaus blicken können. Zudem darf Solidarität niemals ein Lippenbekenntnis bleiben. Ein Antrag, der Solidarität mit Kuba verspricht, ändert wenig. Die Verteidigung der kubanischen Revolution muss praktisch werden, auch in der Bundesrepublik Deutschland, in der bürgerliche Medien ihre Fehlinformationen verbreiten, in denen eine bösartige Ein-Parteien-Diktatur herbeigedichtet wird, Nachrichten, denen es vor allem darauf ankommt, Systemalternativen zu diskreditieren.

Es geht nicht darum, Kuba als Paradies auf Erden darzustellen oder alle Mängel, die es in Kuba gibt, auszublenden. Es geht darum, praktische Solidarität mit denen zu haben, die das gleiche Ziel wie wir haben: das, einer befreiten Gesellschaft. Die Genoss:innen der UJC sind uns dabei bereits ein Schritt voraus, sie arbeiten jeden Tag am sozialistischen Aufbau, sie leben bereits in einer sozialistischen Gesellschaft. Lernen wir von ihnen. Diskutieren wir mit ihnen. Stehen wir in Solidarität mit ihnen, gerade hier in der BRD, in denen die Erfolge Kubas jeden Tag geleugnet werden und widersetzen wir uns diesen Fehlinformationen, klären wir auch in Deutschland, in Berlin darüber auf, wie es in Kuba wirklich aussieht.

Stimmt auch für eine Partnerschaft mit der UJC, wenn ihr Kuba kritisch seht, gerade wenn ihr manches diskutabel findet, denn nur im direkten, respektvollen Austausch können diese Bedenken beleuchtet und eventuell aus der Welt geschafft werden. Im Rahmen dieser  Partnerschaft wollen wir unabhängig als Landesverband Berlin eine Kooperation mit der UJC aufbauen und setzen uns für eine Kooperation auf Bundesebene ein.

[1] aus dem Programm der linksjugend; beschlossen auf dem 1. Bundeskongress am 5. April 2008 in Leipzig, Abschnitt 4.9 „Internationalismus“

[2] in der letzten Abstimmung der UN bezüglich des Embargos haben sich lediglich Israel und Brasilien neben den USA für das Embargo ausgesprochen.

[3] Stand 20.1.2021: Es gibt es wieder ein Ansteigen der Corona-Infektionen in Kuba; gleichzeitig jedoch geht ein Impfstoffkandidat Kubas („Soberana 02“) in die zweite Testphase

[4] s. hierzu u.a.: https://amerika21.de/2020/06/240932/kuba-wirtschaftsreformen; https://amerika21.de/2020/11/244848/parlament-gesetz-bilanz; https://amerika21.de/2021/01/247075/kuba-abschaffung-doppelwaehrung-cuc

Grundsatzpositionierung des Landesverbands zum Antispeziesismus

Am 18.04.2004 startet PETA die Kampagne „Der Holocaust auf ihrem Teller“ mit den Worten: „PETA möchte die Menschen dazu anregen, darüber nachzudenken, welche Parallelen die ungerechte Behandlung von Juden, fahrendem Volk (sic!), Homosexuellen und anderen im Holocaust, die als ‚Leben, das lebensunwürdig ist‘ charakterisiert wurden, zu der Art und Weise aufweist, wie die moderne Gesellschaft die Schlachtung von Tieren versucht zu rechtfertigen.“[1] Peter Singer, einer der prominenteten Vertreter der „Antispeziesismus“ schreibt in seinem Buch „Muss dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener“:

„Jedes Gemeinwesen kann nur eine begrenzte Anzahl von Menschen verkraften, für die es aufkommen muss. Wenn wir alle Kinder – ungeachtet ihrer künftigen Möglichkeiten – am Leben halten wollen, müssen wir andere Dinge, die wir möglicherweise für ebenso wichtig halten, aufgeben. Da die meisten Gemeinwesen offenbar nicht bereit sind, ausreichend Mittel für die Bedürfnisse ihrer behinderten Mitglieder bereitzustellen, ist das Überleben vieler weiterer schwerstbehinderter Kinder möglicherweise auch nicht im Interesse der behinderten Menschen, die bereits von staatlicher Fürsorge abhängig sind“.[2]

Diese und ähnliche Äußerungen sind kein Zufall, sondern sind Folge des Begriffs des „Antispeziesismus“, was im Anchluss gezeigt werden soll. Ausgegangen wird davon, dass eine klare Trennung zwischen Tier und Mensch bezüglich ihrer Subjektivität verworfen werden soll.

Den theoretichen Unterbau für eine solche Verwerfung bietet der Personenbegriff Singers. Singers primäres Kriterium für eine Peron ist ein Bewusstsein, das „Freude und Leid“ ermöglicht, sowie ein Interesse an der eigenen fortgesetzten Existenz.[3]

Kriterien für die Bewertung von Handlungen leitet Singer direkt daraus ab, gute Handlungen sind laut ihm diejenigen, die Freude maximieren und Leid minimieren, wobei das nicht-Leiden am größten ins Gewicht fällt. Was auf den ersten Blick vernünftig klingt, ist in der konkreten Praxis menschenverachtend. Dadurch, dass Singer nur den starren Status Quo betrachtet, und nicht auf das entwickelnde Bewusstsein rückbezieht, ist es für ihn zum Beispiel in Ordnung, im Bewusstsein noch nicht entwickelte, an Hämophilie erkrankte Kleinkinder (ohne Interessen), zu euthanasieren.[4] Gerechtfertigt wird dies damit, dass das Kind ja noch keine Interesse am Fortleben habe, und mit der Euthanasie ein leidvolles Leben verhindert würde.

Abgesehen von der im Raum stehenden menschlichen Ungeheuerlichkeit beinhaltet die Kategorie der Leidfähigkeit noch mehrere andere problematische Implikationen. Die wichtigste Qualität des Gattungswesen Mensch wird komplett ausgeblendet: Die Fähigkeit zur Reflexion und damit auch die Fähigkeit zur Reflexion auf erfahren Freiheit und Unfreiheit. Konfrontiert mit der PETA-Kampagne, würde man den Antispeziesismusbegriff retten wollen, müsste man erstmal benennen, was der qualitative Unterschied zwischen Shoah und Massentierhaltung ist und inwiefern dies mit der Ethik des Antispeziesismus vereinbar wäre. Das Argument, die nationalsozialistischen Vernichtungslager seien nicht in die kapitalistische Produktion eingegliedert gewesen, das an dieser Stelle oft vorgebracht wird, zieht nicht; hätten die Nationalsozialisten ihre Opfer gegessen hätte das nichts verbessert. Vielmehr geht es darum, dass ihre Opfer um ihrer Vernichtung wussten, wegen ihres jüdisch-seins, aufgrund von Gadje-Rassismus oder ihrer Sexualität, und sich gleichzeitig im vollen Bewusstsein ihrer Unfreiheit, ihrer Ermordung aufgrund des nationalsozialistischen Barbarei befanden, sowie des Bewusstseins über die Möglichkeit der Freiheit von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und Mordmaschinerie. Zu all dem sind Tiere nicht im Stande, die Gleichsetzung von Mensch und Tier ist nicht haltbar. Das rechtfertigt keinen Schaden, den man ihnen zufügt, ist aber Vorraussetzung für die Erkenntnis des problematischen, prinzipiell misanthropischen Menschenbildes der Antispeziezismusbewegung. Singer z.B. sprach sich in einem Radionterview dagegen aus dass seine „Versicherungsbeiträge erhöht werden, damit Kinder ohne Aussicht auf Lebensqualität teure Behandlungen erhalten“.[5] Hier sieht man sehr konkret, wie die am Rechenschieber von Leid und Freude entworfene Ethik Problemen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gegenübertritt. Anstelle von einer Reflexion darauf, wie Freiheit möglich wäre, nämlich indem man sich praktisch organisiert, die Produktionsmittel in Arbeiter:innenhand bringt, und durch die so erreichte neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums die Möglichkeiten zur intensiven Pflege von behinderten Kindern massiv ausbaut, wird mit der bezüglich der (Besitz-)Verhältnisse starren Perspektive ausgerechnet, dass mehr Spaß und Freude drin ist, wenn Peter Singer das Geld behält und es nicht an Behinderte geht. Somit wird durch den Leidzentrismus der Antispeziesismusbewegung die Möglichkeit zur Freiheit von kapitalistischer Unterdrückung theoretisch liquidiert. Um an dieser Stelle nochmal klar zu sein: Antispeziezismus ist, im Gegensatz zur antisexistischen, antirassistischen oder antisemitismuskritischen Bewegung keine Befreiungsbewegung, da Tiere keine Möglichkeit zur Freiheit besitzen.

Gleichzeitig ist aber wichtig zu benennen, dass, wenn man sich vom problematischen Begriff „Antispeziesismus“ trennt, viele wichtige und notwendige Ansatzpunkte in der Tierrechtsbewegung vorhanden sind, die wir als linksjugend [’solid] übernehmen sollten. Durch die immense Produktivkraftsteigerung der letzten 150 Jahre ist eine fleischbasierte Ernährung nicht mehr notwendig. Dass noch soviel Fleisch konsumiert wird, liegt am Profitinteresse und der Lobby der Fleischindustrie.

Immer wieder kommen neue Skandale in der Massentierhaltung und „Fleischproduktion“ ans Tageslicht. Seien es nun Hühner und Schweine, die auf einem viel zu engen Raum ihr karges Dasein bis zur Schlachtung fristen müssen, männliche Küken die unmittelbar nach der Geburt geschreddert werden oder mit Antibiotika vollgepumpte Tiere, nach deren Verzehr auch die Menschen krank werden.

Und auch die Arbeiter:innen in der „Fleischindustrie“ haben nicht viel zu lachen: Gewerkschaften schätzen, dass 80% der in der Industrie Beschäftigten über Werkverträge angestellt sind. Diese sind anders als (Angestellten-)Arbeitsverträge aufgebaut und können die Rechte der Arbeitnehmer:innen viel stärker beschneiden. So können dort z.B. Verschwiegenheitsklauseln eingefügt werden, die besagen, dass die Arbeiter:innen mit niemandem über die Höhe ihres Lohnes oder über ihre genaue Tätigkeit sprechen dürfen.

Wenn sich die Arbeiter:innen nicht an diese Vereinbarungen halten, drohen harte Repressionen wie die Einbehaltung des Monatslohns oder gar die Kündigung.[6]

Die Tagesschau schreibt in einem Artikel dazu:

„Das heißt: Ein Arbeitnehmer darf nicht über seinen Arbeitsvertrag sprechen oder sich Rat holen, etwa von einem Anwalt oder einer Gewerkschaft. Christiane Brors vom Institut für Arbeitsrecht an der Uni Oldenburg sagt: ‚Das ist alles rechtswidrig, so weitgehende Rechte hat der Arbeitgeber nicht.‘ Sie meint, die Klausel sei darauf angelegt, den Arbeitnehmer einzuschüchtern. Denn er verliert ein Monatseinkommen, das als Schadenersatz an den Arbeitgeber geht.“[7]

Die Arbeiter:innen leisten also einen körperlich sehr harten Job für geringes Geld und werden zusätzlich bestraft, wenn herauskommt, dass sie ihrer Familie oder ihren Freund:innen von ihren menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen erzählen. Unter diesen Bedingungen ist es für die meisten in der Fleischproduktion Beschäftigten nahezu unmöglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

1Wir als linksjugend [’solid] stellen uns gegen die Massentierhaltung und wollen den Kampf für Tierwohl und Arbeitskämpfe vereinen!

Forderungen:

  1. Eine klare Positionierung dafür, dass die Bedingungen unter denen Tiere gehalten werden oftmals inakzeptabel sind und dass wir uns dafür einsetzen, dass diese sich deutlich verbessern.
  2. Eine Erhöhung der Haltungsanforderungen für Nutztiere.
  3. Eine klare Positionierung gegen Großkonzerne, die Profit mit Tierleid machen und ihren Angestellten unhaltbare Arbeitsbedingungen zumuten.
  4. Forderungen zur Abschaffung und eines Verbots von Massentierhaltung, Tiershows, Jagd, Pelzproduktion, Tierversuchen, Kutschen.
  5. Beteiligungen an und Aufrufe zu Veranstaltungen, die sich mit dem Thema „Massentierhaltung und Klimakrise“ auseinandersetzen.
  6. Solidarität mit Arbeiter:innen in der „Fleischindustrie“ und Unterstützung ihrer Kämpfe.

[1] https://www.peta.de/presse/peta-startet-europa-tour-der-holocaust-auf-ihrem-teller/

[2] https://blogs.faz.net/biopolitik/2011/05/27/der-freund-dem-behinderte-zu-viel-kosten-peter-singer-und-die-humanisten-185/

[3] https://www.umweltethik-wiki.uni-kiel.de/doku.php?id=wiki:tierbewusstsein_und_praeferenzutilitarismus

[4] https://www.n-tv.de/panorama/Toennies-Vorwuerfe-nicht-bestaetigt-article22263352.html

[5] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/fleischindustrie-arbeitsbedingungen-103.html

[6] https://www.n-tv.de/panorama/Toennies-Vorwuerfe-nicht-bestaetigt-article22263352.html

[7] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/fleischindustrie-arbeitsbedingungen-103.html

Löschung der Berliner Polizeiaccounts einleiten – Polizeipropaganda beenden

Löschung der Berliner Polizeiaccounts einleiten – Polizeipropaganda beenden

Nicht nur für uns als junge Garde ist das Internet kein Neuland – auch der Repressionsapparat dieses Staates hat mittlerweile entdeckt, dass sich über das Internet respektive die Sozialen Medien wesentlich schneller Meldungen verbreiten lassen und sich über sie öffentliche Debatten prägen lassen. Das gilt nicht zuletzt für die Berliner Bullerei, die sich in den Sozialen Netzwerken Twitter, Facebook und Instagram – um mal diese Metapher zu bemühen – so wohl fühlt, wie ein Schwein in einer tiefen braunen Schlammpfütze.

Kleine Geschichte der polizeilichen Lügenmärchen

Was die Verbreitung von Falschmeldungen mit dem Ziel, sich selbst medial ins bessere Licht und andere ins schlechtere Licht zu setzen, angeht, ist die Berliner Polizei ganz vorne mit dabei.

Aber auch andere Polizeien verbreiten offensichtlich gelogene Meldungen:

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Fälle, in denen sich die Polizei fragwürdige Werturteile und Schlussfolgerungen in Sozialen Medien erlaubte.

In anderen Fällen macht sich die Polizei die hohe Reichweite ihrer Social-Media-Accounts zunutze, um sich übergriffig gegenüber Personen aus dem realen Leben zu verhalten.

Dem Missbrauch medialer Macht durch die Polizei entgegentreten

Polizeiaccounts genießen inzwischen hohe Reichweiten in Sozialen Medien. Auf Twitter, einem Microblogging-Portal, das gerade Journalist:innen überdurchschnittlich häufig nutzen, gehört der Berliner Polizei-Account @polizeiberlin mit knapp 500.000 Follower:innen (Stand Januar 2021) zu den reichweitenstärksten Accounts im deutschsprachigen Raum – er hat wesentlich mehr Follower:innen als andere Behördenaccounts wie dem Regierenden Bürgermeister (ca. 31.000) und sogar erheblich mehr Follower:innen als journalistische Accounts wie „Die Zeit“ (knapp 400.000), allerdings etwas weniger als „Der Spiegel“ (2,7 Mio.) oder „Bild“ (1,7 Mio.), spielt aber also in derselben Größenordnung im Mediengeschehen mit.

Schon das bringt aber ein Problem mit sich: Zu recht wird in Bezug auf die Medien von einer „vierten Gewalt“ gesprochen. Im Gegensatz zu den ersten drei Gewalten sind die Medien keine Staatsgewalt, sondern haben die Funktion, öffentlich das Handeln des Staates zu kontrollieren. Indem die Polizei reichweitenstarke Social-Media-Accounts betreibt, konkurriert sie mit den staatsfernen Medien um Leser:innen. Dabei passiert das, was nicht sein darf: Die Grenzen zwischen Staatsmacht und Medien verschwimmt.

Dabei passiert außerdem folgendes: Während bislang zwischen einer Polizeimeldung und, dass ihr Inhalt an die Bevölkerung gelangt, noch der Zwischenschritt lag, dass Pressehäuser auswählten, welche Polizeimeldungen sie verbreiteten bzw. ob und wie sie sie kritisch einbetteten, so kann die Polizei heutzutage direkt „zum Volk“ sprechen: Die Polizei wählt selbst aus, welche Meldungen sie in welcher Form verbreitet. Auch das ist eine Entwicklung, die nicht sein darf.

Neben den oben dargestellten Fällen schamloser Lügerei auf Polizeiaccounts verstehen Polizeibehörden, die im Übrigen selten eine gesetzliche Ermächtigung in Form einer Aufgabennorm für Öffentlichkeitsarbeit auf Social Media haben, immer häufiger als Entertainmentangebot – klar, schließlich geht es ja darum, um Follower:innen zu konkurrieren, und da gehört es einfach dazu, wenn ein:e Gesetzbrüchige:r auch mal öffentlich bloßgestellt wird.

In den dargestellten Fällen schamloser Lügerei können Betroffene häufig eine Richtigstellung erwirken – zu diesem Zeitpunkt ist das Kind jedoch schon in den Brunnen gefallen, und die Richtigstellung findet in der Regel keine auch nur ähnlich hohe Verbreitung wie die Ursprungsmeldung.

Die hohe mediale Macht der Staatsgewalt muss daher effektiv gebrochen werden. Das bedeutet:

Forderung

Wir fordern den Berliner Innensenator Andreas Geisel nachdrücklich dazu auf, die unverzügliche Löschung aller Social-Media-Accounts der Berliner Polizei anzuordnen. Pressemitteilungen sollen die Berliner Polizeibehörden nur noch dann veröffentlichen, wenn sie durch die:den zuständigen Senator:in oder eine:n ihrer:seiner Staatssekretär:innen persönlich genehmigt wurden.

[1] Bert Schulz, Linke lassen Konfetti Konfetti sein, taz v. 4.3.2016, https://taz.de/Polizei-Verdacht-erweist-sich-als-falsch/!5280579/ [5.12.2020].

[2] Madleen Harbach/Helena Piontek, Warum „Friedel 54“ gegen die Berliner Polizei klagt, Tagesspiegel v. 10.2.2020, https://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-tweet-und-seine-folgen-warum-friedel-54-gegen-die-berliner-polizei-klagt/25527580.html [5.12.2020].

[3] Angebliche Fetisch-Party in Berlin – Veranstalter kritisieren Polizei, Der Spiegel v. 26.10.2020, https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/berlin-angebliche-fetisch-party-veranstalter-kritisieren-polizei-a-c8d0b499-8c10-4f2d-af40-acb348ed0444 [4.1.2021].

[4] Club-Betreiber wehren sich nach Polizei-Post zu Drogenfund, RBB24 v. 30.11.2020, https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2020/11/berlin-mitte-polizei-spaeti-drogen-waffen-melancholie-club.html [4.1.2021].

[5] Matern Boeselager, Wie die Polizei mit fragwürdigen Meldungen das Bild der G20-Demos manipulierte, Vice v. 14.7.2017, https://www.vice.com/de/article/d384kz/wie-die-polizei-mit-fragwurdigen-meldungen-das-bild-der-g20-demos-manipulierte [5.12.2020].

[6] Jeja Klein, Lösch dich aus dem Internet, Polizeipresse!, nd v. 12.12.2020, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145682.pressearbeit-der-polizei-loesch-dich-aus-dem-internet-polizeipresse.html [11.12.2020].

[7] Maximilian König, Leipziger Polizeisprecher mischt sich unter Pseudonym in Gewalt-Debatte ein, Tagesspiegel v. 17.1.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/skandalnacht-von-connewitz-leipziger-polizeisprecher-mischte-sich-unter-pseudonym-in-gewalt-debatte-ein/25444168.html [4.1.2021].

[8] Polizei Hamburg auf Twitter am 1.7.2020, https://twitter.com/PolizeiHamburg/status/1278247130055036929 [5.12.2020].

[9] @teh_aSak auf Twitter am 1.7.2020, https://twitter.com/teh_aSak/status/1278329611491913728 [5.12.2020].

[10] Polizei Hamburg auf Twitter am 1.7.2020, https://twitter.com/PolizeiHamburg/status/1278291175846395904 [5.12.2020].

[11] Markus Reuter, Der elektrische Türknauf und die Molotowcocktails: Falschmeldungen der Polizei auf Twitter, netzpolitik.org v. 5.3.2018, https://netzpolitik.org/2018/der-elektrische-tuerknauf-und-die-molotowcocktails-falschmeldungen-der-polizei-auf-twitter/ [5.12.2020].

[12] Polizeipräsidium Oberbayern Süd auf Twitter am 6.6.2015, https://twitter.com/polizeiOBS/status/607221284410388480 [5.12.2020].

[13] Boeselager a. a. O.

[14] Alexander Fröhlich, Berliner Polizei schaltet Kontaktanzeige über Instagram, Tagesspiegel v. 22.1.2019, https://www.tagesspiegel.de/berlin/soziale-medien-berliner-polizei-schaltet-kontaktanzeige-ueber-instagram/23897808.html [4.1.2021].

Wider die Gesinnungsjustiz – für eine kritische Aufarbeitung des Rondenbarg-Prozesses

Wider die Gesinnungsjustiz – für eine kritische Aufarbeitung des Rondenbarg-Prozesses

Es ist der 7. Juli 2017, der Freitag des G20-Gipfels. Früh morgens zieht eine Demonstration mit etwa 200 Teilnehmer:innen von einem Camp im Altonaer Volkspark los. Gegen 6:30 Uhr trifft sie im Rondenbarg, einer Straße in einem Industriegebiet, trifft sie plötzlich auf die von fünf Wasserwerfern begleitete Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) Blumberg. Ohne Vorwarnung stürmt diese auf die Versammlungsteilnehmer:innen los, um auf sie einzuprügeln. Aus der Demonstration werden – nach Beginn des Angriffs durch die Polizei[1] – vereinzelt Flaschen auf die Polizei geworfen, verletzt wird dabei niemand. Ein paar Versammlungsteilnehmer:innen bleiben stehen, viele versuchen zu fliehen. Links von der Straße ist eine hohe Böschung, von hinten stürmt weitere Polizei an. Viele versuchen, nach rechts eine von einem Geländer geschützte, mehrere Meter hohe Mauer herunterzuspringen, um über den dort gelegenen Parkplatz zu fliehen. Polizist:innen drücken dann Versammlungsteilnehmer:innen gegen das Geländer, das unter deren Last nachgibt. Die gegen das Geländer gedrückten Versammlungsteilnehmer:innen stürzen herab und ziehen sich teils schwere Verletzungen zu.

Nach Festnahmen durch die Polizei folgen Ermittlungsverfahren und später Anklagen. Insgesamt werden 85 Versammlungsteilnehmer:innen angeklagt. Ihnen werden gemeinschaftlicher schwerer Landfriedensbruch sowie weitere Delikte – gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt:innen, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamt:innen, Sachbeschädigung, Bildung bewaffneter Gruppen – vorgeworfen.

Niemandem kann jedoch ein konkretes Delikt nachgewiesen werden. Die Staatsanwaltschaft lässt sich davon jedoch nicht beirren und beantragt erfolgreich Haftbefehle gegen Beschuldigte – weiterhin entgegen § 114 StPO ohne Vorliegen eines Verdachtes für eine konkrete strafrechtlich sanktionierte Handlung.[2]

Ende 2020 beginnen die ersten mündlichen Verhandlungen gegen fünf der 85 Angeklagten.

Zur Anwendung des Landfriedensbruchparagraphen, § 125 StGB

Wesentlicher juristischer Hintergrund ist die Anwendung des Landfriedensbruchparagraphen § 125 StGB.[3] Die derzeitige Fassung, nach der für die Erfüllung des Tatbestands erforderlich ist, sich an entsprechenden Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen beteiligt zu haben, die dann aus der Menschenmenge heraus begangen werden, oder auf eine Menschenmenge entsprechend eingewirkt werden muss, also nicht ausreicht, lediglich an einer Versammlung teilzunehmen, aus der heraus Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen begangen werden, hat der Paragraph seit der Strafrechtsreform 1969.[4] Bis dahin reichte aus, Versammlungsteilnehmer:in zu sein, um den Straftatbestand zu erfüllen. Bei der Gesetzesänderung 1969, die, was den Tatbestand betrifft, im Wesentlichen bis heute besteht, hatte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund allgemeiner Liberalisierungstendenzen im Strafrecht auch genau das zum Ziel, die bloße Versammlungsteilnehmer:innenschaft zu entkriminalisieren.

Vor diesem Hintergrund zeichnen die Rondenbarg-Verfahren eine Tendenz ab, den § 125 StGB über den Wortlaut hinaus auszudehnen. Den Angeklagten wird lediglich zur Last geworfen, Teilnehmer:in der Versammlung zu sein, aus der heraus Gewalttätigkeiten gegenüber der Polizei begangen sein sollen. Die Staatsanwaltschaft spricht der Versammlung dabei auch ab, eine politische Demonstration zu sein, um so den Sachverhalt aus dem Schutzbereich des Demonstrationsgrundrechtes herauszuhalten – obwohl die Versammlung sämtliche im Verwaltungsrecht gängigen Merkmale für eine politische Demonstration erfüllt (so gingen die Versammlungsteilnehmer:innen bspw. in geschlossener Formation, trugen Transparente und riefen Parolen).

Diese Tendenz ist als krasser Angriff auf das Versammlungsgrundrecht zu qualifizieren und richtet sich darüber hinaus gegen den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz „keine Strafe ohne vorherige gesetzliche Bestimmtheit“. Die Staatsanwaltschaft will eine Verurteilung auch ohne ausreichende Rechtsgrundlage erwirken, um so ein politisches Signal gegen Linksradikale zu setzen. Das ist Gesinnungsjustiz.

Gefährliche Tendenzen in der Strafrechtspolitik

Während passiert, was rechtlich gar nicht sein dürfte (nämlich, dass ohne den Vorwurf einer konkreten strafrechtlich sanktionierten Handlung Personen nach dem § 125 StGB angeklagt werden), fordern einige bereits die Anpassung des Rechts an die tatsächlichen Begebenheiten. So forderte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul die Ausweitung des Tatbestandes in § 125 StGB auf alle Versammlungsteilnehmer:innen, um so besser gegen die verschwörungsideologische „Querdenken“-Bewegung sowie gegen Klimaaktivist:innen vorgehen zu können.[5] Reul fordert insoweit die Zurückänderung des § 125 StGB auf den Stand von 1872.

Auch in der Schweiz hat sich die Tendenz zu einer Ausweitung des Tatbestandes auf alle Versammlungsteilnehmer:innen abgezeichnet. Zwar bezieht sich der Wortlaut des Art. 260 StGB (Schweiz) auf alle Versammlungsteilnehmer:innen.[6] Allerdings hatte das schweizerische Bundesgericht bislang die Anwendung des Art. 260 im Wege der grundrechtskonformen Auslegung auf solche Fälle begrenzt, in denen Beschuldigte die Gewalttätigkeiten zumindest gebilligt hatten. Dies hat sich mit den Prozessen im Zusammenhang mit der „Basel nazifrei“-Demonstration 2018 geändert, bei der gegen Teilnehmer:innen einer genehmigten antifaschistischen Gegenkundgebung Strafverfahren durchgeführt wurden, ohne diesen konkrete strafrechtlich sanktionierte Handlungen vorwerfen zu können, und diese nach dem Art. 260 StGB (Schweiz) auch zu Haftstrafen verurteilt wurden.[7]

Unsere Forderungen

Für uns ist klar: Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit darf nicht noch weiter eingeschränkt werden! Eine Versammlung steht auch dann unter dem Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheiten, wenn aus ihr heraus Gewalttaten begangen werden. Versammlungsteilnehmer:innen, denen keine Gewalttätigkeiten nachgeweisen werden können, dürfen daher auch nicht bestraft werden.

Wir fordern daher:

[1] Dies belegen (Polizei-)Videos des Einsatzes, die die Darstellung der Polizei widerlegen, nach der die Polizei zuerst massiv mit Flaschen, Steinen und Bengalos beworfen worden sei, widerlegen, vgl. bspw. hier: G20-Vorfall am Rondenbarg: das Polizeivideo, Panorama 3 v. 23.8.2017, https://www.ardmediathek.de/ndr/video/panorama-3/g20-vorfall-am-rondenbarg-das-polizeivideo/ndr-fernsehen/Y3JpZDovL25kci5kZS85NzIzYmZiMC05ZTNjLTRkNjYtYTBiYi1hNWZjZjdiNWE3Yzk/ [21.12.2020].

[2] Dazu u. a. Kristian Stemmler, „Das Verfahren folgt politischer Agenda eines Teils der Justiz“, Interview mit Matthias Wisbar, junge Welt v. 19.12.2020, https://www.jungewelt.de/artikel/392881.g-20-gipfel-in-hamburg-das-verfahren-folgt-politischer-agenda-eines-teils-der-justiz.html [21.12.2020].

[3] Wortlaut: 㤠125 РLandfriedensbruch:

(1) Wer sich an

  1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder
  2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit,

die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(…)“

[4] Wortlaut in der Fassung bis vor dem 1.9.1969: 㤠125:

(1) Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewaltthätigkeiten begeht, so wird jeder, welcher an dieser Zusammenrottung Theil nimmt, wegen Landfriedensbruches mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft.

(…)“

Die Änderungshistorie lässt sich über https://lexetius.com/StGB/125 [21.12.2020] nachverfolgen.

[5] Reul will Paragrafen für Landfriedensbruch ändern (Agenturmeldung), Zeit online v. 10.12.2020, https://www.zeit.de/news/2020-12/10/reul-will-paragrafen-fuer-landfriedensbruch-aendern [21.12.2020]

[6] Wortlaut des Art. 260 StGB (Schweiz): Art 260 Landfriedensbruch:

(1) Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

(…)“

[7] Siehe dazu u. a. Anja Conzett/Daniel Faulhaber, Was ist los in dieser Stadt? Der Tag im November, der Basel nicht mehr loslässt, Republik v. 24.11.2020, https://www.republik.ch/2020/11/24/der-basel-report-teil-1-der-tag-im-november-2018-der-basel-nicht-mehr-loslaesst [21.12.2020] und dieselben, Wer eskaliert wen? Die Basler Staatsgewalt außer Kontrolle, Republik v. 25.11.2020, https://www.republik.ch/2020/11/25/der-basel-report-teil-2-wer-eskaliert-wen-die-basler-staatsgewalt-ausser-kontrolle [21.12.2020].