Grundsatzpositionierung des Landesverbands zum Antispeziesismus

Am 18.04.2004 startet PETA die Kampagne „Der Holocaust auf ihrem Teller“ mit den Worten: „PETA möchte die Menschen dazu anregen, darüber nachzudenken, welche Parallelen die ungerechte Behandlung von Juden, fahrendem Volk (sic!), Homosexuellen und anderen im Holocaust, die als ‚Leben, das lebensunwürdig ist‘ charakterisiert wurden, zu der Art und Weise aufweist, wie die moderne Gesellschaft die Schlachtung von Tieren versucht zu rechtfertigen.“[1] Peter Singer, einer der prominenteten Vertreter der „Antispeziesismus“ schreibt in seinem Buch „Muss dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener“:

„Jedes Gemeinwesen kann nur eine begrenzte Anzahl von Menschen verkraften, für die es aufkommen muss. Wenn wir alle Kinder – ungeachtet ihrer künftigen Möglichkeiten – am Leben halten wollen, müssen wir andere Dinge, die wir möglicherweise für ebenso wichtig halten, aufgeben. Da die meisten Gemeinwesen offenbar nicht bereit sind, ausreichend Mittel für die Bedürfnisse ihrer behinderten Mitglieder bereitzustellen, ist das Überleben vieler weiterer schwerstbehinderter Kinder möglicherweise auch nicht im Interesse der behinderten Menschen, die bereits von staatlicher Fürsorge abhängig sind“.[2]

Diese und ähnliche Äußerungen sind kein Zufall, sondern sind Folge des Begriffs des „Antispeziesismus“, was im Anchluss gezeigt werden soll. Ausgegangen wird davon, dass eine klare Trennung zwischen Tier und Mensch bezüglich ihrer Subjektivität verworfen werden soll.

Den theoretichen Unterbau für eine solche Verwerfung bietet der Personenbegriff Singers. Singers primäres Kriterium für eine Peron ist ein Bewusstsein, das „Freude und Leid“ ermöglicht, sowie ein Interesse an der eigenen fortgesetzten Existenz.[3]

Kriterien für die Bewertung von Handlungen leitet Singer direkt daraus ab, gute Handlungen sind laut ihm diejenigen, die Freude maximieren und Leid minimieren, wobei das nicht-Leiden am größten ins Gewicht fällt. Was auf den ersten Blick vernünftig klingt, ist in der konkreten Praxis menschenverachtend. Dadurch, dass Singer nur den starren Status Quo betrachtet, und nicht auf das entwickelnde Bewusstsein rückbezieht, ist es für ihn zum Beispiel in Ordnung, im Bewusstsein noch nicht entwickelte, an Hämophilie erkrankte Kleinkinder (ohne Interessen), zu euthanasieren.[4] Gerechtfertigt wird dies damit, dass das Kind ja noch keine Interesse am Fortleben habe, und mit der Euthanasie ein leidvolles Leben verhindert würde.

Abgesehen von der im Raum stehenden menschlichen Ungeheuerlichkeit beinhaltet die Kategorie der Leidfähigkeit noch mehrere andere problematische Implikationen. Die wichtigste Qualität des Gattungswesen Mensch wird komplett ausgeblendet: Die Fähigkeit zur Reflexion und damit auch die Fähigkeit zur Reflexion auf erfahren Freiheit und Unfreiheit. Konfrontiert mit der PETA-Kampagne, würde man den Antispeziesismusbegriff retten wollen, müsste man erstmal benennen, was der qualitative Unterschied zwischen Shoah und Massentierhaltung ist und inwiefern dies mit der Ethik des Antispeziesismus vereinbar wäre. Das Argument, die nationalsozialistischen Vernichtungslager seien nicht in die kapitalistische Produktion eingegliedert gewesen, das an dieser Stelle oft vorgebracht wird, zieht nicht; hätten die Nationalsozialisten ihre Opfer gegessen hätte das nichts verbessert. Vielmehr geht es darum, dass ihre Opfer um ihrer Vernichtung wussten, wegen ihres jüdisch-seins, aufgrund von Gadje-Rassismus oder ihrer Sexualität, und sich gleichzeitig im vollen Bewusstsein ihrer Unfreiheit, ihrer Ermordung aufgrund des nationalsozialistischen Barbarei befanden, sowie des Bewusstseins über die Möglichkeit der Freiheit von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und Mordmaschinerie. Zu all dem sind Tiere nicht im Stande, die Gleichsetzung von Mensch und Tier ist nicht haltbar. Das rechtfertigt keinen Schaden, den man ihnen zufügt, ist aber Vorraussetzung für die Erkenntnis des problematischen, prinzipiell misanthropischen Menschenbildes der Antispeziezismusbewegung. Singer z.B. sprach sich in einem Radionterview dagegen aus dass seine „Versicherungsbeiträge erhöht werden, damit Kinder ohne Aussicht auf Lebensqualität teure Behandlungen erhalten“.[5] Hier sieht man sehr konkret, wie die am Rechenschieber von Leid und Freude entworfene Ethik Problemen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gegenübertritt. Anstelle von einer Reflexion darauf, wie Freiheit möglich wäre, nämlich indem man sich praktisch organisiert, die Produktionsmittel in Arbeiter:innenhand bringt, und durch die so erreichte neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums die Möglichkeiten zur intensiven Pflege von behinderten Kindern massiv ausbaut, wird mit der bezüglich der (Besitz-)Verhältnisse starren Perspektive ausgerechnet, dass mehr Spaß und Freude drin ist, wenn Peter Singer das Geld behält und es nicht an Behinderte geht. Somit wird durch den Leidzentrismus der Antispeziesismusbewegung die Möglichkeit zur Freiheit von kapitalistischer Unterdrückung theoretisch liquidiert. Um an dieser Stelle nochmal klar zu sein: Antispeziezismus ist, im Gegensatz zur antisexistischen, antirassistischen oder antisemitismuskritischen Bewegung keine Befreiungsbewegung, da Tiere keine Möglichkeit zur Freiheit besitzen.

Gleichzeitig ist aber wichtig zu benennen, dass, wenn man sich vom problematischen Begriff „Antispeziesismus“ trennt, viele wichtige und notwendige Ansatzpunkte in der Tierrechtsbewegung vorhanden sind, die wir als linksjugend [’solid] übernehmen sollten. Durch die immense Produktivkraftsteigerung der letzten 150 Jahre ist eine fleischbasierte Ernährung nicht mehr notwendig. Dass noch soviel Fleisch konsumiert wird, liegt am Profitinteresse und der Lobby der Fleischindustrie.

Immer wieder kommen neue Skandale in der Massentierhaltung und „Fleischproduktion“ ans Tageslicht. Seien es nun Hühner und Schweine, die auf einem viel zu engen Raum ihr karges Dasein bis zur Schlachtung fristen müssen, männliche Küken die unmittelbar nach der Geburt geschreddert werden oder mit Antibiotika vollgepumpte Tiere, nach deren Verzehr auch die Menschen krank werden.

Und auch die Arbeiter:innen in der „Fleischindustrie“ haben nicht viel zu lachen: Gewerkschaften schätzen, dass 80% der in der Industrie Beschäftigten über Werkverträge angestellt sind. Diese sind anders als (Angestellten-)Arbeitsverträge aufgebaut und können die Rechte der Arbeitnehmer:innen viel stärker beschneiden. So können dort z.B. Verschwiegenheitsklauseln eingefügt werden, die besagen, dass die Arbeiter:innen mit niemandem über die Höhe ihres Lohnes oder über ihre genaue Tätigkeit sprechen dürfen.

Wenn sich die Arbeiter:innen nicht an diese Vereinbarungen halten, drohen harte Repressionen wie die Einbehaltung des Monatslohns oder gar die Kündigung.[6]

Die Tagesschau schreibt in einem Artikel dazu:

„Das heißt: Ein Arbeitnehmer darf nicht über seinen Arbeitsvertrag sprechen oder sich Rat holen, etwa von einem Anwalt oder einer Gewerkschaft. Christiane Brors vom Institut für Arbeitsrecht an der Uni Oldenburg sagt: ‚Das ist alles rechtswidrig, so weitgehende Rechte hat der Arbeitgeber nicht.‘ Sie meint, die Klausel sei darauf angelegt, den Arbeitnehmer einzuschüchtern. Denn er verliert ein Monatseinkommen, das als Schadenersatz an den Arbeitgeber geht.“[7]

Die Arbeiter:innen leisten also einen körperlich sehr harten Job für geringes Geld und werden zusätzlich bestraft, wenn herauskommt, dass sie ihrer Familie oder ihren Freund:innen von ihren menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen erzählen. Unter diesen Bedingungen ist es für die meisten in der Fleischproduktion Beschäftigten nahezu unmöglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

1Wir als linksjugend [’solid] stellen uns gegen die Massentierhaltung und wollen den Kampf für Tierwohl und Arbeitskämpfe vereinen!

Forderungen:

  1. Eine klare Positionierung dafür, dass die Bedingungen unter denen Tiere gehalten werden oftmals inakzeptabel sind und dass wir uns dafür einsetzen, dass diese sich deutlich verbessern.
  2. Eine Erhöhung der Haltungsanforderungen für Nutztiere.
  3. Eine klare Positionierung gegen Großkonzerne, die Profit mit Tierleid machen und ihren Angestellten unhaltbare Arbeitsbedingungen zumuten.
  4. Forderungen zur Abschaffung und eines Verbots von Massentierhaltung, Tiershows, Jagd, Pelzproduktion, Tierversuchen, Kutschen.
  5. Beteiligungen an und Aufrufe zu Veranstaltungen, die sich mit dem Thema „Massentierhaltung und Klimakrise“ auseinandersetzen.
  6. Solidarität mit Arbeiter:innen in der „Fleischindustrie“ und Unterstützung ihrer Kämpfe.

[1] https://www.peta.de/presse/peta-startet-europa-tour-der-holocaust-auf-ihrem-teller/

[2] https://blogs.faz.net/biopolitik/2011/05/27/der-freund-dem-behinderte-zu-viel-kosten-peter-singer-und-die-humanisten-185/

[3] https://www.umweltethik-wiki.uni-kiel.de/doku.php?id=wiki:tierbewusstsein_und_praeferenzutilitarismus

[4] https://www.n-tv.de/panorama/Toennies-Vorwuerfe-nicht-bestaetigt-article22263352.html

[5] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/fleischindustrie-arbeitsbedingungen-103.html

[6] https://www.n-tv.de/panorama/Toennies-Vorwuerfe-nicht-bestaetigt-article22263352.html

[7] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/fleischindustrie-arbeitsbedingungen-103.html